Der Blindtext im Wandel

Über moderne Blindtext-Generatoren und die Kritik an Lorem ipsum

Donnerstag, 13. August 2015 by KWST

Wer im Bereich des Layouts oder Webdesigns tätig ist, kommt um den so genannten Blindtext nicht herum. Er dient bei der Produktion von Publikationen oder Webseiten als Platzhalter für spätere Inhalte und wird deswegen auch als Dummy- oder Fülltext bezeichnet. Auch bei der Komposition von Melodien kommen Platzhaltertexte zum Einsatz. Unter Web-Designern ist in den letzten zehn Jahren jedoch eine kontroverse Debatte um ihre Verwendung entstanden.

Die Geschichte eines Layout-Dinosauriers

Blindtexte haben in der Regel keinen sinnvollen Inhalt, damit der Betrachtende sich auf das Wesentlich konzentrieren kann - nämlich die Wirkung und Lesbarkeit verschiedener Schriftarten oder der Verteilung des Textes auf einer Seite. Sie bestehen aus einer mehr oder weniger willkürlichen Folge von Wörtern oder Silben verschiedener Länge und Zeichenverteilung. Im Gegensatz zu einer wahllos getippten Zeichenfolge oder der fortlaufenden Wiederholung eines Wortes, erscheinen Blindtexte halbwegs realistisch. Sie sind dem finalen Content optisch ähnlicher und beeinträchtigen somit die Wirkung des Layouts der späteren Publikation nicht.

Zur Demonstration der Gestalt verschiedener Schrifttypen und zu Layoutzwecken sind Blindtexte indes bei Setzern und Typografen schon seit dem 16. Jahrhundert bekannt. So alt ist auch die populärste Variante des Blindtextes, der kurz “Lorem ipsum” genannt wird. Gerade weil er über die Jahrhunderte nahezu kaum verändert wurde, konnte man Lorem ipsum auf einen Text Ciceros aus dem Jahr 45 vor Christus zurückführen. Während ihrer Tätigkeit haben einige Setzer mehrere Worte und Silben wie auch einzelne Buchstaben aus dem Text entfernt und ihn dadurch verzerrt. Derart unverständlich gehalten, imitiert er jedoch den Rhythmus der meisten europäischen Sprachen in lateinischer Schrift.

Damit stellen sich ebenso einige Nachteile des klassischen Lorem ipsum-Textes ein. Im Lateinischen kommen bestimmte Buchstaben häufiger und andere seltener vor. Außerdem werden im Lateinischen nur Satzanfänge groß geschrieben, was ein bestimmtes Druckbild erzeugt. Das Schriftbild verschiedener Sprachen unterscheidet sich optisch oft durch die quantitativ häufigere Verwendung einzelner Buchstaben. So sind im Deutschen z. B. die Buchstaben Ä, Ö, Ü oder auch ß gebräuchlich, die in anderen Sprachen nicht verwendet werden. Lorem ipsum erfüllt also nicht immer und ohne Weiteres den gewünschten Zweck eines Blindtextes.

Die nächste Generation: Blindtext-Generatoren

Um die Eigenheiten verschiedener Schriftarten vergleichen zu können, sollten Texte gewählt werden, die möglichst alle Buchstaben und Sonderzeichen verwenden, die für die jeweilige Sprache typisch sind. Daher existiert mittlerweile eine Fülle an Blindtext-Generatoren im Netz, die auch lesbare Blindtexte in verschiedenen Sprachen erzeugen. Diese verwenden meist ein thematisch entsprechendes Set an Worten oder Phrasen, aus denen letztlich sinnlose Absätze zusammengestellt werden.

Eine der beliebtesten Alternativen ist wohl Samuel L. Ipsum. Hier werden Fülltexte aus Filmzitaten von Samuel L. Jackson erzeugt. Ähnlich funktioniert Lebowski Ipsum nach der Kult-Komödie "The Big Lebowski" mit Jeff Bridges, John Goodman und Steve Buscemi. Zum Thema Ernährung finden sich gleich mehrere Möglichkeiten. Süß und herzlich sind die Fülltexte des Cupcake Ipsum. Eher herzhafte Texte erzeugen Bacon Ipsum, der diverse Fleischgerichte verbindet oder Tuna Ipsum, der verschiedene Fischsorten aufzählt. Aber auch für die pflanzliche Alternative ist mit Veggie Ipsum gesorgt.

Der Blindtext-Generator bietet neben einer deutschen Übersetzung des Klassikers nicht nur Kompilationen aus den Werken Kafkas und Goethes, sondern auch einen Blindtext namens “Trappatoni ‘98” an. Außerdem können Pangramme - Sätze, die alle Buchstaben einer Sprache enthalten - erzeugt werden. Auf Meet the Ipsums wird eine Übersicht verschiedener Websites bereit gestellt, die Alternativen zum althergebrachten Lorem ipsum anbieten.

Der Blindtext ist tot - es lebe der Blindtext

Insofern man vom immergleichen Blindtext gelangweilt ist, können diese Alternativen Abhilfe schaffen. Seit einigen Jahren wird nun aber auch vermehrt eine allgemeine Kritik an derartigen Blindtexten und humoristischen Persiflagen im Besonderen geübt. Jason Fried von 37signals hat vor allem hinsichtlich der User Experience von Websites darauf hingewiesen, dass Platzhaltertexte wie Lorem ipsum keinen echten, Text-basierten Content imitieren, sondern diesen in ein visuelles Designelement verwandeln. “If you just enter garbage in rapid fire fashion how will you ever know what it really feels like to fill out that form?”, so Fried. Außerdem vermag echter Inhalt Platzprobleme im Layout aufzuzeigen, die bei der Verwendung von sinnfreiem Text womöglich untergingen.

Der Texter John McGarvey schlägt aus anderen Gründen vor, Lorem ipsum und Ähnliches zu verbannen. Sein Argument ist die Beziehung zwischen Form und Inhalt, die beim Einsatz von Fülltexten nicht bestehen kann. Vielmehr deutet dieser daraufhin, dass der Inhalt fälschlicherweise als nachrangig erachtet wird. Nach seinem Dafürhalten ist das, was auf einer Website passiert und wie diese gemacht ist, nicht zu trennen.

Ein Spezialist in Sachen User Experience, Robert Hoekman Jr, hat eine Gegendarstellung zu McGarveys vernichtendem Urteil verfasst. Dabei geht er noch einmal auf die Aussagen von Jason Fried ein und hält fest, dass dieser sich nur auf die Konstruktion von Schnittstellen wie Web-Formularen bezogen hat. Oft genug ginge es beim Design aber auch einfach um die Veranschaulichung von Ideen und Konzepten. Darüber hinaus seien Designs ebenso oft darauf angelegt, Vorlagen bzw. Schablonen für Seiten zu liefern und Flexibilität zu ermöglichen. In dieser Hinsicht haben Blindtexte einen großen Nutzen. Im finalen Stadium sei man jedoch auf echten Content angewiesen. Hoekman Jr. meint deshalb: “It's not Lorem Ipsum we should ban, it's absolutes. Lorem Ipsum is a tool, and like every tool, it's up to the craftsman to know when and why to use it.”

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