Quantensprung fürs Traditions-Handwerk

Das Cross-Innovation-Netzwerk „Digistuck“ lotet am Beispiel eines Stuckateur-Betriebes aus, wie digitalisierte Abläufe in die Nischen von Kleinstunternehmen einziehen und sie damit in die Zukunft geführt werden können.

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt beim Handwerk: Dachdecker lassen Drohnen fliegen, Optiker fertigen Brillengestelle mit dem 3D-Drucker, Baubetriebe ordern per Smartphone ihr Material. Doch, während sich größere Betriebe in klassischen Zünften schon mit smarten Lösungen anfreunden, gelingt es dem traditionellen Handwerker, der zumeist in Kleinstunternehmen agiert, bisher eher selten, in der Nische seine Abläufe zu digitalisieren. Das Cross-Innovation-Netzwerk „Digistuck“ analysiert und bewertet Möglichkeiten, wie das machbar ist – am Beispiel des Stuckateur-Handwerks.

Bogenmacher, Kürschner oder Geigenbauer – sie teilen die Leidenschaft für eine Arbeit, mit der sie sich in einer Nische bewegen und eine Tradition hochhalten. Was sie auch teilen, ist oft die Sorge um die Zukunft: eine nachlassende Auftragslage, kaum Interessenten für Azubi-Stellen und immer weniger Aufmerksamkeit. Markus Buff, Chef von „Buff! Meine Werbeagentur“ benennt das Kernproblem: „Die meisten Traditionshandwerker sind einfach zu wenig sichtbar. Der Schritt in die digitale Welt ist oft noch nicht vollzogen. Dabei müssen gerade sie die Möglichkeiten nutzen, die sich mit der modernen Technologie eröffnen.“ Buff gehört mit seiner Agentur zum Cross-Innovation-Netzwerk „Digistuck“, das sich genau diesem Thema verschrieben hat und aus der Sicht eines Stuckateurs beleuchtet, wie Prozesse und Produkte in die neue Zeit überführt werden können – ohne teure, existenzbedrohende Investitionen oder komplizierte Technik.

Berufsgruppen in den Fokus rücken

Die Idee dafür wurde geboren, als Thoralf Neuschulz auf den Baugewerbe-Verband Sachsen-Anhalt zuging und sagte: „Wir müssen etwas tun, um mein Gewerbe bekannter zu machen.“ Den Betrieb, durch Vater Harald Neuschulz gegründet, gibt es seit mehr als 36 Jahren. 2005 hat ihn der Sohn übernommen, von Magdeburg nach Wahlitz verlegt, Höhen und Tiefen erlebt. Der Stuckateurmeister setzt auf Qualität und Qualifizierung. Er sagt: „Als Stuckateur gilt man zwar oft als Exot, der Traditionen pflegt, das heißt aber nicht, dass wir uns neuen Arbeitsweisen verschließen, ganz im Gegenteil. Wir müssten nur wissen, wie es geht.“ Mit diesen Überlegungen rannte der Handwerker offene Türen ein. Die Idee nahm ihren Weg über zahlreiche Akteure, wuchs weiter – was schließlich für ein Gewerk gilt, könnte für andere möglicherweise auch skaliert werden. „Wir könnten einige Berufsgruppen in den Fokus rücken und ihnen damit helfen, Innovationen zu realisieren“, sagt Frank Silber von der „QEUREKA – Technische Unternehmensberatung“.

Cross-Innovation-Netzwerk vereint Gleichgesinnte

Mit der Aussicht auf eine „Cross Innovation“-Förderung wurde mit diesem Ansatz schließlich ein Netzwerk ins Leben gerufen, das branchenübergreifend Gleichgesinnte vereint. Seit 2019 arbeiten neben dem Stuckateurmeister, der Werbeagentur und der „QEUREKA“ auch die „Febro Massivhaus GmbH“, die „Scanner2Go GmbH“ und Dipl.-Ing. Architekt Sebastian Thomasch von den „E5 architekten“ zusammen, um den Niedergang von bedrohten Handwerkskünsten entgegenzuwirken. Als „Cross-Innovation“-Netzwerk „Digistuck“ haben sich die Partner auf die Fahnen geschrieben, im Kontext der Digitalisierung neue Möglichkeiten für traditionelle Handwerksbetriebe zu analysieren, zu bewerten und gemeinsam umzusetzen. Die Förderung des Landes Sachsen-Anhalt und der EU war nicht nur der initiale Funke für die Vernetzung, sondern zugleich der Auftakt, neue Geschäftsfelder zu erschließen. „Die Förderung hat uns geholfen, am Thema zu arbeiten und weit über die Ideenphase hinauszukommen“, sagt Frank Silber. Und Markus Buff ergänzt: „Mit der Finanzierung war es uns möglich, Mitarbeiter-Ressourcen für das Projekt einzusetzen, die wir sonst nicht von laufenden Geschäftsfeldern hätten abziehen können.“

Digitale Möglichkeiten für Traditionshandwerker erarbeiten

Zur praktischen Umsetzung gehörten regelmäßige Treffen der Netzwerker und die Suche nach Antworten auf solche Fragen: „Wie kann der Arbeitsprozess eines Stuckateurs digitalisiert werden?“ Markus Buff nennt einen Anwendungsfall: „An einem Gebäude an einer stark befahrenen Kreuzung ist Stuck beschädigt. Um das zu prüfen, müssen normalerweise aufwändig Genehmigungen eingeholt und ein großes Gerüst aufgebaut werden. Dann wird ein Silikon-Abdruck genommen. Erst damit kann in der Werkstatt mit der Arbeit begonnen werden.“ Die Lösung, so der Agentur-Chef, könnte sein, eine Drohne einzusetzen, was Zeit und Geld sparen würde. Die Bilder könnten direkt auf einem Bildschirm in der Werkstatt landen. Und auch sonst könnten Komponenten der Arbeit digitalisiert oder Rohlinge beispielsweise mittels 3D-Druck ausgedruckt werden. Frank Silber sagt. „Wir haben den gesamten Arbeitsprozess hinterfragt, wollten herausfinden, was realisierbar ist und was man dafür braucht.“ Denn: Alles, was der Stuckateur-Betrieb künftig einsetzen und ihn effizienter arbeiten lassen könnte, gibt es bereits auf dem Markt. Silber: „Keiner der Handwerker müsste sich für den technologischen Fortschritt teure Technik selbst einkaufen, sondern könnte mit Partner*innen zusammenarbeiten. Nur: Zusammengefügt hat diese einzelnen Möglichkeiten noch niemand für die Traditionshandwerker.“

Stuckateur-Fachbetrieb wird befähigt, mit digitalen Instrumenten zu arbeiten

Die Netzwerkpartner sind in den vergangenen Monaten in die Theorie abgetaucht, haben die Prozessschritte abgeklopft und Synergien genutzt. Frank Silber spricht von „einem stetigen Wissenstransfer“ und davon, dass „alle dieses interdisziplinäre Arbeiten sehr spannend fanden“. Know-how aus den verschiedensten Richtungen sind in „Digistuck“ eingeflossen. Markus Buff, im früheren Leben ein gelernter Hörakustik-Meister, kannte sich aus damit, wie man effektiv Abdrücke herstellt. Der Architekt Sebastian Thomasch zeigte, wie man ein Stuckelement in eine Virtual-Reality-Umgebung einspielt. Bei „Digistuck“ wurden Workflows erarbeitet, zusammengefasst und die Aussicht darauf gegeben, was daraus entstehen könnte. „Besonders wichtig war uns, die Machbarkeit dieser Abläufe zu bewerten“, sagt Silber. So könnte im Traditionsbetrieb eine Software benutzt werden, die bereits zur Verfügung steht. Wenn im Frühjahr 2021 der Förderzeitraum endet, soll der Stuckateur-Fachbetrieb die Befähigung erhalten, mit digitalen Instrumenten zu arbeiten, Abläufe zu optimieren, sich damit wettbewerbsfähig und sichtbar zu machen. „Das“, so Markus Buff, „wäre zugleich ein Quantensprung für die gesamte Branche“.

Das Netzwerk ist wertvoll geworden.

Das Netzwerk denkt bereits noch weiter in die Zukunft. Man sei sich sicher, so Frank Silber, „dass wir mit unseren Ansätzen auch weiteres Nischen-Handwerk befähigen könnten, auf den großen Märkten mitzumischen“. Egal, ob Steinmetz oder Kunstschmiede – ihnen könnten mit gezielten digitalen Prozessen, die Teilhabe daran gesichert werden. Zunächst ist eine Plattform für Stuckateure in greifbare Nähe gerückt. Was als Prototyp besteht, soll bald vielen der Zunft zur Verfügung stehen. Ein weiteres naheliegendes Ziel des Netzwerkes ist es, den bisher erarbeiteten Status zu definieren, um davon die künftigen Möglichkeiten abzuleiten, so Buff. Nicht zu vergessen: Das Netzwerk ist wertvoll geworden, meint der Agentur-Chef: „Wir werden, in welcher Konstellation auch immer, weiter an gemeinsamen Projekten arbeiten, so viel ist schon mal sicher.“ Als sicher gilt auch, dass die Stuckateur-Premiere skaliert werden kann. Markus Buff sagt: „Wir könnten die Arbeitswelt von vielen Traditions-Gewerken revolutionieren und viele damit vor dem Untergang retten. Wenn das kein Ansporn ist!“

Fotos: BUFF! Meine Werbeagentur