Kreativ im Kreis Gleichgesinnter

BESTFORM-Preisträgerin Antje Sellig über Digitales und Dinge zum Anfassen

Im Jahr 2015 hat die Grafikerin Antje Sellig mit ihrem Kinderbuch „Das Chamäleon“ einen Förderpreis beim BESTFORM /// MEHR /// WERT /// Award erhalten. Die Hallenserin überzeugte vor allem mit ihren Ansätzen, ihre Bücher nicht nur visuell, sondern auch taktil, durch Tastsinne erlebbar zu machen – was blinden und sehbehinderten Kindern zugute kommt. „Das Chamäleon“ bewertete die Jury aber auch als Beispiel dafür, dass es möglich ist, mit einfachen Mitteln die Sinne zu fördern, was auch für ältere kranke Menschen wichtig wäre. Jetzt fragten wir sie, wie es weiter gegangen ist. Im Gespräch erzählt Antje Sellig unter anderem, warum das Anfassen auch in der digitalisierten Gesellschaft wichtig ist.

Sie haben 2015 beim Landeswettbewerb BESTFORM bei mehr als 60 Bewerbungen den Sprung auf die Nominierten-Liste geschafft – mit etwas Kleinem, aber Feinem: dem „Chamäleon“-Buch. Gelobt wurde vor allem Ihr Einfühlungsvermögen für blinde und sehbehinderte Kinder. Wie ist es mit diesem Projekt weitergegangen?

Durch ein Stipendium der Kunststiftung Sachsen-Anhalt war es mir möglich, die Idee des taktilen Buches „Das Chamäleon“ auf drucktechnische Umsetzbarkeit mithilfe von etablierten Reliefdruck- und Veredelungstechniken zu untersuchen. Dabei entstanden neue Illustrationen von gegensätzlichen Chamäleon-Paaren. Im Anschluss an die Recherche erhielt ich eine weitere finanzielle Unterstützung von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, um den ersten Prototypen zu realisieren. Beide Bücher, das analog und das digital produzierte Chamäleon, konnten bei der Ausstellung „Fantitastisch 2“ in der Kunststiftung Sachsen-Anhalt Ende 2016 gesehen und ertastet werden.

Widmen Sie sich heute noch Kindern, die nicht oder schlecht sehen können?

Ich arbeite in einem Entwicklungsteam, das sich mit der Gestaltung von Lehr- und Lernmaterialien für alle Sinne befasst. Unser Ziel: Mit allen Sinnen lernen und diese Materialien einer möglichst breiten Gruppe an Kindern – ob mit oder ohne visuellem Handicap – zur Verfügung zu stellen.

Wie ist es für Sie als Selbstständige weitergegangen?

Nach wie vor illustriere ich für diverse Branchen und entwickle grafische Erscheinungsbilder. In diesem Jahr zeichnete ich zum Beispiel für den neuen Leseführerschein der Landesbibliotheken Sachsen-Anhalt. Dieser soll auf einfache und unterhaltsame Weise die Bibliothek für Kinder attraktiver machen und dazu anregen, das Medienangebot dort häufiger zu nutzen.

Arbeiten Sie allein, oder vernetzen Sie sich auch bei Projekten?

Ich bekomme viele Angebote bei Projekten mitzuwirken, wo grafische Gestaltungen oder Illustrationen benötigt werden. Dabei begegne ich oftmals Menschen, die offen für neue Wege in Gestaltungsfragen sind und sich mit Mut und Vertrauen mir anschließen, einfach mal verrückt zu sein.

Sie schauen also gern über den Tellerrand. Gilt das auch für Branchen-Grenzen?

Bei der Entwicklungsarbeit für eine neue Form des Lernens anhand von multifunktionalen und sinnreichen Materialien, ist die Zusammenarbeit mit mehreren Branchen unabdingbar, wie der fachliche Rat aus dem pädagogischen Institut der Universität in Halle oder die Unterstützung durch Druckereien für die haptischen Bilder.

Können Sie Synergieeffekte nutzen?

In dem Projekt zur Entwicklung eines Lernmaterials für alle Sinne wirkt ein starkes Netzwerk unterschiedlicher Branchen zusammen. Bei Netzwerkveranstaltungen wird der Weitergang des Projektes offengelegt und über die nächsten Schritte beraten. Holzgestalter, Kinderbuchautoren, Drucktechniker, Sonderpädagogen, Wissenschaftler aus Pädagogik und Technik sitzen an einem Tisch und tragen aus ihrer Perspektive und Erfahrung Ideen zusammen, die für die nächste Entwicklungsphase von großen Wert sind und nehmen dabei auch für ihr Schaffen neues Wissen und Anregungen mit.

„Selbst und ständig“ – gilt das für Sie auch? Wo kann und sollte man Ihrer Meinung nach die Grenzen ziehen im Geschäft?

Natürlich sind zwischen den Arbeitsstunden, auch die Zeiten ganz wichtig, die nur der Familie gewidmet sind. Diese Zeit nutze ich vor allem, um neue Energie zu tanken. Einfach mal abzuschalten und die Gedanken nicht um neue Ideen kreisen zu lassen, ist gar nicht so einfach. Der kreative Geist arbeitet eben selbst und ständig.

Wie vereinbaren Sie Familie und Beruf?

Gerade stehen Familie und Beruf bei mir sehr eng beieinander. Meinen kleinen Sohn nehme ich zu geschäftlichen Treffen gern auch mit. Bei Vorträgen, Beratungsgesprächen, Präsentationen im kleinen Rahmen ist das durchaus machbar. Die geschäftliche „Ernsthaftigkeit“ wird allein durch seine Anwesenheit einfach lockerer und nimmt viel an Anspannung weg. Die Reaktionen darauf waren bisher durchweg positiv.

Verändert sich die Arbeit der Kreativen – beispielsweise durch die digitale Transformation?

Ich sehe zwei verschiedene Ausprägungen: Zum einen sieht man, wie die Digitalisierung in immer mehr Lebens- und Arbeitsbereichen Fuß fasst. Zum anderen erwacht das Bedürfnis der Menschen nach etwas Anfassbaren, Greifbaren und Begreifbaren, nach etwas Authentischem, vielleicht auch Ursprünglichem. Auch die Freude am Selbstgemachten und Selbermachen findet man vielerorts wieder. Diese zwei Entwicklungstendenzen müssen sich nicht zwangsweise auseinanderbewegen, sondern können durchaus auch miteinander verflochten sein. Das Experiment für mein neues Buch „Das Chamäleon“ setzt auf die Verbindung von beidem: drucktechnologisch erzeugte Bilder „anfassbar“ machen und damit eine spannende taktile Oberfläche auf den Papiergrund zu zaubern.

Woran arbeiten Sie gerade?

Zurzeit entsteht gerade ein Spiel, das Sprichwörter wieder ins Gedächtnis zurückholen soll. Redewendungen werden immer weniger genutzt und sind so bei Kindern im Sprachgebrauch gar nicht oder kaum noch vorhanden. Obwohl sie doch so vieles so gut auf den Punkt bringen können. Die Spielidee kam von dem Hallenser Schriftsteller Christoph Kuhn. Ich gebe nun ausgewählten Sprichwörtern das entsprechende Bild. Es soll daraus ein generationsübergreifendes Spiel entstehen, welches Redewendungen aus der dunklen Erinnerung wieder ins Gedächtnis holt.

Wie könnte es idealerweise für Sie als Unternehmerin weitergehen?

Mein Wunsch ist es, mir die Freiheit für neue Produktionswege zu erschließen, dabei viel selber machen innerhalb eines Kreises an Gleichgesinnten, die ihr Vertrauen und ihre Kraft in eine neue Form der Zusammenarbeit geben. Dabei spielt die Verbindung von Familie und Beruf eine bedeutende Rolle. Ich sehe diese zwei sonst eher getrennten Bereiche für mich immer stärker zusammenwachsen. Als Freiberuflerin ist das für mich eine neu entdeckte Freiheit. Die persönliche Freiheit im Berufsalltag zu erkennen und umzusetzen, das wünsche ich auch meinen kreativen Mitschaffenden. Kaum einem anderen Berufszweig ist so viel Raum gegeben, sich auszuprobieren, zu entdecken und neue Wege zu gehen.