„Wir haben den besten Job der Welt“

Preisgekröntes Design made in Sachsen-Anhalt: Josua Roters, Lion Sanguinette und Jonathan Stein haben in diesem Jahr beim renommierten Newcomer-Designwettbewerb one&twenty Auszeichnungen für Projekte gewonnen, die im Studium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle (Saale) entstanden sind. Ein Gespräch über künstliche Intelligenz, kollaboratives Design und den Weg in die Selbstständigkeit.

Herr Sanguinette und Herr Stein, Sie haben gemeinsam „opencyclone“ entwickelt, ein Produktionssystem für Open-Source-Hardware, das jetzt bei one&twenty ausgezeichnet worden ist. Was verbirgt sich dahinter?

Lion Sanguinette: Wir haben eine Online-Plattform aufgebaut, auf der sich Menschen finden und vernetzen können, um gemeinsam Gegenstände des täglichen Gebrauchs selbst herzustellen. Als Beispiel dafür haben wir einen Staubsauger in drei Abstufungen entwickelt, von der einfachen Do-it-yourself- bis zur Premiumvariante, und die Anleitungen zugänglich gemacht.

Jonathan Stein: Opencyclone ist ein Beispiel für lokale, bedarfsgerechte und ressourcenbezogene Selfmade-Produktion. Wir wollen Konsumentinnen und Konsumenten von großen Firmen und internationalen Warenströmen unabhängig machen.

„Open Source“ ist vor allem aus dem Softwarebereich bekannt. Was ist Open-Source-Hardware, und wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich damit zu beschäftigen?

Lion Sanguinette: Open-Source-Hardware ist aus dem Grundgedanken der Open-Source-Software entstanden. Im Softwarebereich macht man Codes zugänglich, im Hardwarebereich Baupläne für physische Gegenstände. Dieses Prinzips haben wir uns bedient.

Jonathan Stein: Dabei geht es um Zugänglichkeit. Wenn du Interesse an einem Thema hast, kannst du partizipieren, egal, ob du Qualifizierungen erworben hast oder nicht. Open Source basiert auf der Idee der Schwarmintelligenz: Gemeinsam können wir bessere Ideen entwickeln.

Herr Roters, Sie sind für Ihre Masterarbeit zum Thema „Cable Mania“ ausgezeichnet worden. Erklären Sie bitte, worum es dabei geht!

Josua Roters: Das Kabel ist eine Komponente, die an vielen Produkten vergessen wird – vor allem von uns Designern. Es wird zum Schluss noch hinten drangehängt und ist insgesamt ein bisschen verpönt. Wenn man mit Menschen über Kabel spricht, denken alle an verknotete Kabel in chaotisch vollgestopften Schubladen. Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn man mit dieser vergessenen Komponente anfängt, und habe eine Kabelkollektion entwickelt.

Sie alle stehen am Anfang Ihrer Karriere als Designer. Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Welche Rolle wird künstliche Intelligenz für Sie spielen?

Jonathan Stein: KI spielt heute schon eine riesengroße Rolle. Ständig werden neue Websites, Tools und Algorithmen auf den Markt geschwemmt. Ich sehe darin keine Bedrohung, sondern eine Ergänzung meiner Arbeit.

Lion Sanguinette: Meine Sorge beim Thema KI ist eher, dass ich den Überblick über die Tools verliere und veraltete Technik nutze, wenn es schon neuere, bessere Tools gibt. Die Administratorrolle, die wir als Designer einnehmen, wird sich aber nicht so schnell durch KI ersetzen lassen.

Josua Roters: Das ist im Moment ein sehr reißerisches, aber auch ein spannendes Thema. Ich glaube, dass wir als Designerinnen und Designer gesellschaftlich aufmerksam bleiben und uns anpassen müssen: KI-Anwendungen wie ChatGPT betreffen uns als Gesellschaft, und deswegen betreffen sie auch uns als Designerinnen und Designer.

Herr Sanguinette und Herr Stein, opencyclone wurde im vergangenen Jahr auch beim sachsen-anhaltischen Kreativ-Landeswettbewerb, dem BESTFORM-AWARD, als Vision des Jahres ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Anerkennung? 

Jonathan Stein: Das war der erste Moment, in dem wir uns aus unserer Hochschul-Bubble an die Öffentlichkeit getraut haben. Dass unsere Ideen auch außerhalb dieses Schutzraums Bestand haben, war eine ganz wichtige Erfahrung. Es war spannend, mit den anderen Nominierten zu sprechen, und das Preisgeld hat uns geholfen, unser Projekt zu refinanzieren.

Herr Roters und Herr Sanguinette, Sie haben Ihr Studium beendet. Was haben Sie als Nächstes vor? Gibt es schon konkrete Ideen, die Sie umsetzen wollen?

Josua Roters: Ich habe meinen Masterabschluss gemacht und muss jetzt sehen, wie ich mit meinen Ideen Geld verdienen kann. Ich baue gerade meine Selbstständigkeit auf. Ein anderes Produkt von mir, eine Leuchte, wird gerade bei Ingo Maurer produziert und kommt demnächst auf den Markt. 

Lion Sanguinette: Ich will opencyclone weiter vorantreiben. Im September leite ich einen Workshop dazu bei der oSHOP-Konferenz für Open-Source-Hardware in Dresden. Das wird ein interessanter Härtetest, denn da wird unser Staubsauger nachgebaut.

Was verbindet Sie mit Sachsen-Anhalt? Wollen Sie bleiben oder zieht es Sie in die Ferne? Falls ja: Können Sie sich vorstellen, später einmal zurückzukommen?

Jonathan Stein: Meine Mutter hat schon an der Burg Giebichenstein studiert, damals hieß der Studiengang Produktgestaltung. Ich finde es immer wieder interessant zu sehen, was sich seitdem verändert hat. Ich bin nur für die Burg nach Halle gezogen und habe das nicht bereut.

Lion Sanguinette: Halle ist eine sehr lebenswerte Stadt, ich habe meine Zeit hier sehr genossen. Ich habe das Gefühl, jetzt ist es Zeit, aus diesem Nest zu fliegen und an einem anderen Ort Fuß zu fassen, vielleicht im Ausland. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, eines Tages nach Sachsen-Anhalt zurückzukommen.

Josua Roters: Ich bin schon sehr lange hier – inzwischen seit acht Jahren – und habe viele nützliche Kontakte geknüpft. Ich habe Lust, international Erfahrung zu sammeln, aber ich habe hier viele Menschen im Bekanntenkreis, die selbstständig im Designbereich arbeiten. Sollte ich weggehen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich wieder zurückkomme.

Was möchten Sie anderen mitgeben, die den Karriereweg im Industrie- und Produktdesign einschlagen möchten?

Jonathan Stein: Wir haben den besten Job gewählt, den wir uns vorstellen können. Was ich anderen mitgeben würde: Glaubt an euch selbst! Lasst euch nicht von euren Ideen abbringen oder von der Form von Kreativität, die ihr verfolgen möchtet!

Lion Sanguinette: Ich glaube, Industriedesign als Studiengang und Design als Beruf wählt man, weil man Lust darauf hat, und nicht, weil man erwartet, in den ersten fünf Jahren finanziell unabhängig zu werden. Aber die Arbeit macht Spaß. Man macht etwas, das Menschen bewegt und gesellschaftlichen Nutzen hat. Ich glaube, darauf kommt es an.

Josua Roters: Es ist ein schwieriger Weg und ein Weg voller Selbstzweifel. Man muss sich anpassen können, flexibel sein. Das ist aber auch eine große Chance: Man kann kreativ sein. Der Job macht unglaublich viel Spaß. Und wenn man nicht aufhört, daran zu arbeiten, findet man seinen Weg.

 

Mehr zum Projekt opencyclone von Lion Sanguinette und Jonathan Stein und zu Cable Mania von Josua Roters finden Sie auf der Website der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale). Mehr zum BESTFORM-AWARD unter: www.kreativ-sachsen-anhalt.de

Foto 1: Giovanni Galanello

Foto 2: Josua Roters