Zaunkönig: "Ich wollte etwas erschaffen, das Familien länger begleitet."

Kinderstuhl, Hochstand, Sitzbank: Mit dem Zaunkönig hat die 41-jährige Wahl-Hallenserin Ursula Schreck ein echtes Multitalent entwickelt. Das Drei-in-Eins-Möbel kann Familien nicht nur über viele Jahre begleiten, sondern ist auch optisch ein Highlight am Esstisch. Ein Gespräch über die Unternehmensgründung als junge Mutter – und wieso kindgerechtes und zeitloses Design keine Gegensätze sein müssen.

Was ist der Zaunkönig und was macht ihn aus?

Ursula Schreck: Der Zaunkönig ist Kinderstuhl, Hochstand und Sitzbank in einem, und das Produkt, das meinem Label seinen Namen gegeben hat. Entstanden ist das Möbel, weil ich Eltern – zunächst mir selbst – das Leben leichter machen wollte: Ich finde es schön, wenn Erwachsene und Kinder sich auf Augenhöhe begegnen können, mithilfe von Möbeln, die eine gewisse Langlebigkeit haben. Man kennt das ja: Ein Strampler passt zwei Monate, das Spielzeug ist vielleicht ein, zwei Jahre interessant. Ich wollte etwas schaffen, das Familien länger begleitet.

Und wie kamen Sie ausgerechnet darauf, einen Kinderstuhl zu bauen?

Die Inspiration kam aus meinem Alltag: Ich stand in der Küche, und mein Sohn, damals anderthalb Jahre alt, wollte natürlich wissen, was bei mir Spannendes passiert. Mir war es zu riskant, ihn einfach zur mir auf die Arbeitsplatte zu setzen. Daher habe mir einen Hochstand zugelegt – damit konnte mein Sohn oben mit zugucken. Ich habe damals auch viel mit meiner Nachbarin gekocht und deshalb ihren Hochstuhl ständig durchs Treppenhaus getragen. Da kam mir der Gedanke, dass es hilfreich wäre, wenn man meinen Hochstand umdrehen und als Kinderstuhl benutzen könnte. Nach den ersten Entwürfen kam noch die dritte Option dazu, die dem Zaunkönig seine Langlebigkeit schenkt: Man kann den Stuhl auch quer stellen und als Bank benutzen.

Der Zaunkönig sieht auch nicht aus wie ein typisches Möbelstück für Kinder. Wie ist das Design entstanden?

Ein befreundetes Paar hat einmal zu mir gesagt: Abends soll wenigstens unser Esszimmer wieder aussehen, als hätten wir keine Kinder. Das war der Gedanke hinter dem Design: Ich wollte ein Möbelstück schaffen, das in seiner Funktion absolut kindgerecht ist, optisch aber „erwachsenen“ Ansprüchen genügt. Das zeitlos ist, sich nicht in Dekor und Verspieltheit ergeht. Mir war es wichtig, sich auch mit seinen Kindermöbeln im Raum wohlfühlen zu können.

Wann haben Sie sich entschieden, aus Ihrer Idee ein Unternehmen zu machen?

Ich war in München in leitender Funktion im Marketing eines Medizintechnikunternehmens angestellt, zu gründen war nicht mein erster Gedanke. Mein Entwurf ist zunächst aus meinen Bedürfnissen und meinem Blick auf die Welt entstanden. Die Unternehmensgründung kam dann mit dem Umzug: Mein Mann hat 2017 einen Ruf für eine Professur an der Martin-Luther-Universität bekommen, deshalb sind wir nach Halle gezogen. Ich habe meinen Job in München gekündigt und beschlossen, mich selbstständig zu machen. Mein Label gibt es seit 2018.

Und wie haben Sie den Gründungsprozess in Sachsen-Anhalt erlebt?

Ich habe in Halle ein wunderbares kreatives Umfeld gefunden. An der Burg Giebichenstein Kunsthochschule und am Designhaus lernte ich viele Menschen kennen, mit denen ich mich austauschen konnte. In Sachsen-Anhalt sind viele Menschen kreativ unterwegs und offen für Ideen anderer. Die Lebenshaltungskosten sind geringer, man steht nicht so sehr unter finanziellem Druck wie in den Metropolen. Es herrscht eine positive Grundstimmung – gleichzeitig gibt es viele Wege, auch handfeste Förderung zu bekommen. Ich habe mich zum Beispiel um ein Büro im Designhaus beworben, außerdem um das ego.START-Förderprogramm der Investitionsbank, die meine Gründung im ersten Jahr finanziert hat. Ich war in München schon recht weit gekommen, hatte mit Schreinereien gesprochen, Prototypen gebaut, rechtliche Fragen geklärt. Dadurch hatte ich schon ein gutes Netzwerk. Weil mir der direkte Austausch und räumliche Nähe wichtig ist, habe hier in Halle viel Zeit in den Aufbau meines Netzwerks gesteckt – das war eine gute Entscheidung.

Neben dem namensgebenden Kinderstuhl verkaufen Sie über Zaunkönig noch weitere Produkte…

Ich liebe gute Ideen, einen frischen Blick auf die Dinge. Wenn ich etwas sehe, das mich begeistert und überzeugt, möchte ich das in die Welt bringen. So war es zum Beispiel mit dem Kindergeschirr: Im Designhaus habe ich zwei wunderbare Porzellandesignerinnen, Studio Spolek, kennengelernt. Wir haben sehr ähnliche Ansprüche an unsere Produkte, an Ästhetik, Wertigkeit und Material. Deswegen haben wir uns zusammengetan und ein Kindergeschirr entworfen. Die Grundgedanken waren auch hier Universalität und Nachhaltigkeit: In vielen Familien ist es ja so, dass auf der einen Seite das Plastikgeschirr für die Kinder steht, das man bei erster Gelegenheit wieder entsorgt, und auf der anderen Seite das Familienporzellan, das zwar unglaublich schön ist, das die Kinder aber leider nicht anfassen dürfen. Es wäre doch schöner, wertschätzender, nachhaltiger, beide Welten zu verbinden! Ich glaube, wir unterscheiden als Gesellschaft in vielen Bereichen künstlich zwischen kindlichen Welten und erwachsenen Welten. Diesen Unterschied möchte ich nicht machen. Mir geht es weniger darum, eine neue Produktserie – Kindermöbel, Kinderdecken, Kinderteppiche – zu entwerfen, sondern darum, Lücken im Alltag zu erkennen und mit klugen Lösungen zu schließen.

Da klingt auch ein Nachhaltigkeitsgedanke durch.

Absolut. Für mich hat Nachhaltigkeit nicht nur damit zu tun, dass wir nachhaltige Materialien verwenden – die sind natürlich wichtig. Wir sollten vor allem den Lebenszyklus von Produkten verlängern, die Dinge länger nutzen. Zeitlosigkeit und Vielseitigkeit sind da für mich wichtige Stichworte: Wenn ich ein Produkt vielseitig und lange nutze, nutze ich es nachhaltig. Das sieht man am Zaunkönig: Der wurde mit dem Universal Design Award ausgezeichnet, und zwar nicht zuletzt, weil er die Menschen so lange begleiten kann.

Und wie geht es beim Zaunkönig weiter?

Gerade bin ich viel in der Werkstatt, wir sind mitten im Prototypenbau. Das nächste Produkt ist etwas, das dem Zaunkönig bisher fehlt: Ich würde mir wünschen, dass er einen Menschen ein Leben lang begleiten kann, also schon dabei ist, bevor ein Kind überhaupt sitzen oder stehen kann. Deswegen kommt demnächst ein Nest dazu, das sich an den Zaunkönig andocken lässt.

Und zum Abschluss: Was raten Sie anderen Kreativen, die darüber nachdenken, sich mit ihrem Entwurf selbstständig zu machen?

Es kommt vor allem auf die innere Haltung an, und auf den Mut, es tatsächlich zu tun. Ich glaube, wenn man von seinen Ideen überzeugt ist, kann man auch andere Menschen für sie begeistern. Informiere dich gut, aber vergleiche dich nicht zu viel! Steh' zu deiner Idee, aber sei offen für Feedback und hol' es dir früh ein. Manche Menschen haben ja das Gefühl, sie müssten ihre Ideen vor der Welt beschützen, aus Angst, dass sie dir jemand wegnehmen könnte. Ich denke: Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo irgendwer eine ähnliche Idee hat, an einem ähnlichen Projekt arbeitet, ist ohnehin sehr hoch. Für mich waren es immer die Beziehungen zu anderen Menschen, die Dinge ermöglicht haben, die sonst vielleicht nicht so intuitiv und einfach gewesen wären. Hierfür bin ich sehr dankbar.

Foto: Univations GmbH/Carolin Krekow und Yvonne Most Fotografie