„Spannend wird es da, wo man neue Wege geht“

Vom iF Student Design Award bis zum James Dyson Award: Studierende, die bei Jan Bäse im Master Engineering Design an der Hochschule Magdeburg-Stendal ihr Handwerk lernen, gewinnen immer wieder prestigeträchtige Preise. Ein Gespräch über Erfolgsgeheimnisse, gute Lehre und gute Ideen.

Jan Bäse ist Industriedesigner durch und durch. Ausgebildet an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und in Frankreich an der École nationale supérieure des arts appliqués et des métiers d’art, hat er zunächst Agrarmaschinen für den französischen Weinbau gestaltet. Inzwischen ist er seit 20 Jahren Partner in der von seinem ehemaligen Berliner Professor Helmut Staubach gegründeten Designagentur büro+staubach – und seit 2016 hauptberuflich selbst zurück in der Hochschul-Welt: als Professor für Industriedesign am Institut für Industrial Design der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Herr Bäse, laut Website der Hochschule Magdeburg-Stendal sind Sie zuständig für den Bereich „Investitionsgüterdesign“. Was genau verbirgt sich hinter dem Gebiet Ihrer Berufung?

Jan Bäse: Das frage ich meine Studierenden auch immer, wenn ich mich ihnen vorstelle – und mache daraus ein Quiz. Ich erkläre es durchs Ausschlussprinzip: Wer an Industriedesign denkt, denkt oft an Möbel, Smartphones, Automobile – das sind alles Konsumgüter, die wir für den persönlichen Gebrauch erwerben. Nun stellt sich die Frage: Was bleibt denn dann noch übrig? Die Antwort lautet: Investitionsgüter. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Fahrzeuge im öffentlichen Nahverkehr, Flugzeugkabinen oder auch Zahnarztstühle. Die kauft sich zwar niemand für den Eigenbedarf. Aber auch von diesen Gütern erwarten wir, dass sie gut gestaltet sind. 

Ihre Studierenden wurden bereits mehrfach mit renommierten Designpreisen wie dem iF Student Design Award und dem James Dyson Award ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg?

Zum einen freue ich mich unglaublich für die Studis, die diese Awards abräumen, denn das ist wirklich keine Selbstverständlichkeit. Aber natürlich ist es auch für uns als Team im Master Engineering Design eine wunderbare Bestätigung unserer Arbeit – das mache ich ja nicht alleine. Wenn unsere Studierenden öfter solche Preise gewinnen, ist das kein Zufallstreffer, sondern es zeigt: Mit unseren Lehrkonzepten liegen wir nicht ganz falsch. Und wir leben diese Konzepte auch.

Wie unterstützen Sie Ihre Studierenden bei der Entwicklung ihrer Ideen?

Ich sehe mich als Partner in der Projektentwicklung. Ich lasse mein Vierteljahrhundert Erfahrung als Industrial Designer für internationale Auftraggeber mit einfließen. So lernen die Studierenden von mir: Wie ticke ich? Wie komme ich zu meinen Ergebnissen? Als ich studiert habe, kritisierten die Lehrenden vor allem, öffneten aber kaum Türen. Genau das will ich bei meinen Studierenden heute anders machen. Wenn ich das Gefühl habe, ein Projekt läuft aus dem Ruder, frage ich ganz gezielt nach: Warum willst du das so machen? Willst du wirklich in diese Richtung gehen? Ist das wirklich die richtige Entscheidung? Es ist mir aber auch wichtig, sehr konktrete alternative Lösungswege aufzuzeigen. Dass ich mich engagiere, mich in die Projekte involviere, ist sicher ein Erfolgsgeheimnis. Und auch Teil unseres Lehrkonzeptes.

Sie beschäftigen sich in Ihrem Berufsalltag viel mit den Ideen anderer, kommen aber auch selbst aus dem Industriedesign. Was inspiriert Sie?

Als Designer muss man vor allem sehr gut beobachten; alles, was man sieht, wie ein Schwamm aufsaugen. Gullideckel auf der Straße, Arbeiten von Kollegen, aber auch Dinge aus der Vergangenheit. Nehmen wir zum Beispiel den Magdeburger Dom: Wie wurden Kathedralen gebaut, als es nicht einmal ausreichend Papier gab, um Pläne aufzuzeichnen? Wie hat man Flugzeuge konstruiert – ohne Computer? Wie war es möglich, dass Menschen in den 60ern zum Mond geflogen sind? Mich begeistert, was Menschen leisten können, wenn sie ein Ziel vor Augen haben. Inspiration kann auch aus Bereichen kommen, die man gar nicht mit Industriedesign in Verbindung bringt. Aus solchen Technologietransfers entstehen die verblüffendsten Lösungen. 

Was macht eine Idee zu einer guten Idee?

Aufs Minimum heruntergebrochen, ist unsere Aufgabe als Industriedesigner folgende: Wir lösen die Probleme anderer. Wenn ich beauftragt werde, ein neues U-Bahn-Fahrzeug für Berlin zu entwickeln, betrachte ich das nicht aus meiner persönlichen Sicht, sondern denke mich in die Anforderungen eines Verkehrsbetriebes, aller Nutzer und nicht zuletzt auch des Herstellers hinein. Die Probleme, mit denen wir uns als Industriedesigner konfrontiert sehen, sind unglaublich vielfältig – und unsere Ideen sind es auch. Die wirklich guten Ideen sind natürlich die, die nicht ganz offensichtlich sind. Dinge, die man nicht so löst, wie man es schon immer getan hat. Spannend wird es da, wo man ganz neue Wege begeht.

Was ist das Wichtigste, das Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg geben?

Eigentlich müssten Sie das eher die Studierenden fragen. Mir ist vor allem wichtig, eine Haltung zu vermitteln. Es irritiert mich immer, wenn Kollegen sagen: Jetzt ändert sich alles, wo finden wir noch Orientierung? Die Welt bleibt nicht stehen, aber das ist sie auch noch nie. Wir gestalten einen gesellschaftlichen und technologischen Wandel mit – das ist es, was den Job für mich so spannend macht. Trotzdem gibt es Dinge, an die ich mich halten kann: Meine Sichtweise. Meine Haltung, wie ich mit Problemen umgehe. Diese Haltung durchdringt den gesamten Gestaltungsprozess. Es ist auch wichtig, die Lehre praxisnah zu gestalten. So zeigt man den Studierenden, wie vielfältig und komplex die Welt da draußen ist. Gelingt das nicht, wird aus der Lehre schnell eine Elfenbeinturmlehre. Das möchte ich vermeiden – und das macht mir Spaß, weil auch ich so immer wieder dazulerne. 

Was ist Ihr Rat an alle, die sich nicht sicher sind, wie sie ihre Design-Idee in die Praxis umsetzen können?

Ich komme aus einem Bereich, in dem recht komplexe Produkte entstehen. Die entwickelt man sowieso nicht im Alleingang. Ganz wichtig ist: Man kann nicht alles können. Insofern ist mein Rat an alle, die eine tolle Idee haben: Such‘ dir Leute, deren Kompetenzen dort beginnen, wo deine aufhören, und stell dir so eine unschlagbare Truppe zusammen. 

Was wünschen Sie sich für die kreativen Industrien in Sachsen-Anhalt?

Kreative brauchen Auftraggeber. Schön wär’s, wenn wir sagen könnten: Lasst uns genug Kreative ausbilden – das tun wir ja auch – und die wirken als Katalysator. Aber leider ist es so, dass auch die Studierenden, die in diesem Jahr die Awards eingesammelt haben, nicht in Sachsen-Anhalt bleiben. Simon Bruhns, der beim James Dyson Award den zweiten Platz belegt hat, ist nach Hamburg gegangen. Michel Pieczynski, der in diesem Jahr zwei iF Design Awards gewonnen hat, ist jetzt in Berlin. Noch dazu arbeitet er dort bei einer Firma, die als Startup in Magdeburg gestartet und dann nach Berlin gegangen ist. Ich wünsche mir, dass solche Startups zukünftig nicht mehr nach Berlin ziehen müssen, sondern wir sie hier halten können. Damit bleiben auch Aufträge für Kreative hier vor Ort – und die Leute können sich entschließen: Ich bleibe hier. Ohne Aufträge ist es schwierig.

Was sagen Sie den Unternehmen hier vor Ort?

Die Semesterarbeiten der Studierenden im Master Engineering Design finden immer als Kooperationen statt. Wir arbeiten mit Unternehmen aus der Wirtschaft, aber auch mit Forschungseinrichtungen zusammen, gerne auch hier vor Ort. Deswegen rufe ich alle auf, die Interesse an einer Kooperation haben: Melden Sie sich bei mir!

 

Foto: Inga Masche