Vernetzung in geschichtsträchtiger Kulisse

Der Kulturpalast Bitterfeld hat von Anfang bis Mitte Juli seine Türen für das neue Festival OSTEN geöffnet. Geboten wurde bei der Premiere ein vielseitiges Programm aus Theater, Film, Konzerten, Workshops und Gesprächen. Und das mit großem Erfolg, verrät Daniela Schulze, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Festivals.

Kürzlich endete das Festival OSTEN. Welche Bilanz können Sie ziehen?

Die Resonanz auf unser Festival ist äußerst positiv: Rund 5.000 Besucherinnen und Besucher haben die Veranstaltung besucht, es gab viel gutes Feedback für die Initiative und das Programm. Wir sind sehr glücklich, dass wir mit der Veranstaltung offensichtlich einen Nerv getroffen haben und die Menschen in der Region ansprechen konnten. Verschiedene Generationen, Menschen aus dem umliegenden Land oder aus Städten wie Berlin, Halle und natürlich Bitterfeld-Wolfen sind mit Künstlerinnen und Künstlern in Kontakt gekommen. Sie haben sich über die Veränderungen in der Region in den vergangenen 30 Jahren ausgetauscht, aber auch über aktuelle Themen rund um Ökologie und Gesellschaft. Viele Einwohnerinnen und Einwohner haben sich gefreut, dass nach dem langen Stillstand in ihrem Kulturpalast endlich wieder etwas passiert. Sie waren dankbar für diese Initiative. Unser Festival hat gleichzeitig etwas ins Rollen gebracht: Wir konnten Kulturschaffende aus der Region miteinander vernetzen und hoffen, dass dieses Netzwerk auch über das Festival hinaus Synergien stiftet.

Wie und warum ist OSTEN entstanden?

Die Idee kommt von den beiden Dramaturgen Aljoscha Begrich und Ludwig Haugk und der Kulturmanagerin Christine Leyerle, die das Festival künstlerisch leiten. Die drei haben am Maxim Gorki Theater in Berlin gearbeitet, als die AfD 2017 in den Bundestag eingezogen ist – und hatten das Gefühl, dass seither mehr über „den Osten“ geredet wurde als mit ihm. Damals ist auch oft der Eindruck entstanden, der gesamte Osten sei rechts orientiert. Hinzu kam, dass die Kluft zwischen Stadt und Land immer größer wird und sich deren Bewohnerinnen und Bewohner zunehmend entfremden. Wir wollten etwas gegen das häufig stereotype Bild und die entstehende Kluft zwischen Stadt und Land unternehmen. Seit 2018 haben wir in einem kontinuierlichen Prozess auf das Festival OSTEN hingearbeitet. Mehr als 30 Kulturinstitute haben sich daran beteiligt. Sie wollten durch die Kunst erreichen, dass die Menschen aus ihren „Blasen“ herauskommen und auch jene zusammenbringen, die sich sonst nie begegnen würden. Dafür fehlte nur noch ein geeigneter Ort. 

Und dieser Ort war der Kulturpalast in Bitterfeld-Wolfen?

Genau: Aljoscha Begrich, Ludwig Haugk und Christine Leyerle sind auf der Suche nach Spielstätten durchs Land gefahren, haben sich viele ehemalige Kulturhäuser angesehen und sind schließlich auf den Kulturpalast in Bitterfeld gestoßen. Das imposante Gebäude hat eine sehr interessante Vergangenheit. Ein Ort mit dieser Geschichte schien den künstlerischen Leiter:innen ideal. Ausschlaggebend für die Entscheidung für Bitterfeld-Wolfen als Festivalspielstätte waren außerdem das große Entgegenkommen und die Hilfsbereitschaft des Chemiepark-Geschäftsführers Patrice Heine und des Veranstaltungsmanagers und späteren Kulturpalast-Inhabers Matthias Goßler. Sie waren sofort begeistert von der Idee und haben den Weg für die Umsetzung freigemacht.

Was genau meinen Sie mit „ein Ort mit dieser Geschichte“? 

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war Bitterfeld eines der wichtigsten Industriezentren des Landes, geprägt von Braunkohlebergbau und Chemieindustrie. In den 50er-Jahren errichteten dort über 4.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in sogenannter freiwilliger Arbeit den Kulturpalast. Unter dem Motto „Greif zur Feder, Kumpel!“ fand 1959 die erste Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages statt, 1964 folgte eine weitere Kulturkonferenz. Auf Wunsch von SED-Chef Walter Ulbricht sollten Arbeiterinnen und Arbeiter unter Anleitung kreativ tätig werden und so ihren Anteil zur Kultur des damals jungen Staates beitragen. Künstlerinnen und Künstler sollten die Arbeit in den Betrieben wiederum zum Thema ihres Schaffens machen. Es war die Geburtsstunde des „Bitterfelder Weges“, eines Programms, das die Kluft zwischen Kunst und Arbeiterklasse schließen sollte. In rund 60 Zirkeln haben Arbeiterinnen und Arbeiter im Kulturpalast bis zur Wende gezeichnet, geschrieben oder getanzt. Das Festival hat davon vor allem den Gedanken der Begegnung aufgegriffen und danach gefragt, wie sich dieser Austausch, zwischen unterschiedlichen Gruppen und Generationen, neu erfinden lässt. Der Kulturpalast war außerdem ein beliebter Veranstaltungsort, in dem Preise verliehen, Jugendweihen gefeiert oder Fernsehshows aufgezeichnet wurden. 

Sie haben beim Festival ein bunt gemixtes Programm geboten. Nennen Sie bitte einige Höhepunkte!

Es war wirklich viel los. Wir haben Theater, Filme, Workshops, Gespräche, Installationen und vieles mehr organisiert. Ein Highlight war auf jeden Fall die Premiere des Werksorchesters. Im September 2021 hat der Künstler und Komponist Ari Benjamin Meyers ein Orchester gegründet, in dem Musikschülerinnen und -schüler ein Jahr lang erwachsenen Laien ihr Instrument beigebracht haben. Es ging darum, das Lernen, wie wir es klassisch kennen, umzudrehen. So sind sich die Beteiligten auf neue Weise begegnet, was für viele eine besondere und schöne Erfahrung war. Beim Festival gab es dann ein Abschlusskonzert, bei dem man auch viel Persönliches über die Orchestermitglieder und ihre Werksorchester-Erfahrung hören durfte. Die Idee knüpft an das ehemalige Arbeiter-Sinfonie-Orchester im Kulturpalast an, in dem Profis und Laien bis zur Wende ebenfalls gemeinsam gespielt haben. Besonders hervorheben möchte ich auch die regelmäßigen Formate: An jedem der Festivaltage gab es die Möglichkeit mit einem „Morning Club“ in den Tag zu starten, auf Ausflügen mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Ortsansässigen das Besondere der Gegend und ihrer Geschichte zu erkunden und gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern und Expertinnen und Experten über eine „Frage des Tages“ zu diskutieren. So konnte man zum Beispiel Synchronschwimmen mit Kostümbildnerin Ulrike Gutbrod und bei einem Ausflug mit der Filmemacherin Isa Rosenberger und der ehemaligen Oberbürgermeisterin Petra Wust mehr über die Statue der Chemiearbeiterin vor dem Rathaus erfahren. An allen drei Wochenenden ist unser „Schubkarrenparcours“ sehr gut angekommen. Die Gäste haben sich hier mit einer bunt gestylten Schubkarre, die an den Aufbau des Kulturpalastes erinnerte, auf den Weg durch das Gebäude gemacht. Unterwegs gab es viel zu tun, zu sehen, zu hören und zu entdecken wie Wimpel zu basteln, Buchstaben zu drucken, Klanginstallationen zu lauschen und natürlich gab es zahlreiche Kunstwerke zu bestaunen. Durch die Schubkarre sollten die Besucherinnen und Besucher auch miteinander ins Gespräch kommen. Das ist gelungen, schon allein deshalb, weil das Gebäude auch Treppen hat, die man nur mit Hilfe überwinden konnte.

Welche Veranstaltungen sind bei den Gästen besonders gut angekommen? 

Zu den sehr gut besuchten Veranstaltungen gehörten zum Beispiel das erwähnte Werksorchester und zum Abschluss des Festivals die Bitterfelder Premiere des Films „Sehnsucht nach Bitterfeld“ aus dem Jahr 1992. Der Film wurde zum ersten Mal in Bitterfeld gezeigt, und für die Bewohnerinnen und Bewohner war er eine sehr emotionale Reise zurück in eine bewegte Zeit. Dank des Gesprächs mit den beiden Filmemachern und einem Vater-Tochter-Duo aus dem Film im Anschluss an die Vorführung wurden diese Emotionen nochmal verstärkt. Das war eine wirklich schöne Veranstaltung, mit der unser Festival einen gelungenen Abschluss fand.

Welche Bedeutung hat das Festival für die Region?

Unser Ansatz war: Die Kultur ist da, sie braucht nur die richtigen Impulse und Verbindungen. Durch das Netzwerk aus über 30 Kulturinstitutionen haben wir etwas wiederbelebt, das man weiter pflegen muss. Unser Ziel ist es, die Kultur weiter auszubauen. Das Festival hat uns gezeigt, welche Dynamik durch diese Vernetzung entstehen kann. Das sind gute Grundlagen für die Weiterentwicklung der Kultur in Sachsen-Anhalt. 

Und noch eine Frage zum Schluss: Wird es eine weitere Auflage des Festivals geben?

Wir arbeiten bereits an einer Fortsetzung und haben Förderanträge gestellt. Der Planungsvorlauf ist etwas kürzer als bei dem jetzigen Festival. Die Veranstaltung wird sich deshalb wohl etwas kleiner gestalten. 

 

Foto: Falk Wenzel