„Wir setzen auf kurze Wege, Offenheit und Vertrauen“

BURG-Industriedesign-Student Cornelius Thomas über ein Projekt, das herkömmliche Produktionen und Fertigungen hinterfragt

Angehende Industriedesignerinnen und Industriedesigner der BURG Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale) beschäftigen sich in einem Projekt damit, Produkte, Systeme und Services zu entwerfen, die nach dem Prinzip „Slow Local Open Connectet“ (SLOC) konzipiert sind oder darauf Bezug nehmen. Ihre Anregungen dafür beziehen sie direkt von der Basis, wenn sie sich in regionalen Fertigungsbetrieben umschauen. Wir sprachen mit einen von ihnen. 

Cornelius Thomas studiert im fünften Semester an der BURG. Der gebürtige Heidelberger lernte von der Pike auf – hat bereits eine Tischlerausbildung in der Tasche, hat sich als „Gestalter im Handwerk“ weitergebildet und lebt seinen „Hang zum Design“ jetzt im Designstudium aus. Mit uns hat er über das Projekt gesprochen, was daraus werden kann und welche Rolle Industriedesignerinnen und Industriedesigner aus seiner Sicht künftig einnehmen.

Erklären Sie bitte kurz, worum es im Projekt SLOC geht!

Cornelius Thomas: Es nimmt Bezug auf ein Theorie-Konstrukt, das von dem Designwissenschaftler und Autor Ezio Manzini im Zug der Finanzkrise 2008 entwickelt wurde. Danach soll man Produktentwicklung und industrielle Fertigung hinsichtlich der vier Schlagworte neu denken – also langsam, regional, offen und vernetzt. Produkte entstehen demnach nicht mehr in ausgelagerten und anonymisierten Produktionsstätten, sondern werden innerhalb kleiner Communities und Fertigungs-Netzwerken open source, adaptierbar und so lokal wie möglich gefertigt – und zwar vernetzt vor Ort. Auf unser Projekt gemünzt bedeutet das, Industriedesign neu zu denken. Es gilt, regionale und kleinformatige Fertigungsprozesse anhand konkreter Produkte zu konzipieren und zu entwerfen. Um diese anschaulich zu machen, entwerfen und gestalten wir Produkte, die in diesen Prozessen entwickelt, produziert und vertrieben werden können. Die zentralen Fragen dabei sind: Was ist möglich? Was ist nötig?

Was soll im Idealfall dabei herauskommen?

Als angehende Industriedesignerinnen und Industriedesigner nehmen wir eine Schnittstellen-Position ein. Praktisch betrachtet, möchten wir direkt vor Ort in Betrieben, Material-Einsätze und Abläufe betrachten und optimieren. Die Ergebnisse sollen als echte Prototypen in den BURG-Werkstätten gefertigt werden. Dabei muss gesichert sein, dass es gelingt, das Ergebnis auch in andere Produktions-Kontexte zu übertragen – alles natürlich nach der SLOC-Idee und möglichst als Serienfertigung.

Warum ist dieses Thema wichtig?

Die aktuellen Krisen haben gezeigt, dass endloses Wachstum nicht mehr funktioniert. Internationale Lieferketten lösen sich auf, alte Geschäftsmodelle funktionieren häufig nicht mehr. Die Produktion von Ver- und Gebrauchsgütern ist im Wandel – denn sie wird teurer. Zudem müssen verstärkt Ressourcen gespart, das Gemeinwohl in den Fokus gerückt und Lieferketten überschaubarer werden.

Die Produktentwicklung und industrielle Fertigung neu zu denken, ist ein hoch gestecktes Ziel. Wie könnte das praktisch funktionieren?

Ich denke, dass es über die lokale Offenheit zu machen ist. Ein Beispiel: Es gibt eine Tischlerin im Ort. Ganz in der Nähe gibt es einen Sattler. Diese beiden zu vernetzen, würde schon mal die Wege sehr verkürzen, wenn man sonst eben weit über den Tellerrand schaut. Es geht uns darum, im Kleinen auszuprobieren, wie es im Großen funktionieren könnte – wir setzen dabei auf kurze Wege und die Offenheit der Handwerkerinnen und Handwerker sowie der Industriearbeiterinnen und Industriearbeiter.

Ist die Offenheit zumeist vorhanden oder muss dafür noch viel getan werden?

Ich habe ein gutes Beispiel für diese Antwort: Wir haben einen Menschen kennengelernt, der eine Kiepe für die Weinlese entwickelt hat. Dieser hat mit einem Korbflechter, einem Sattler und mit vielen weiteren Gewerken zusammengearbeitet. Bis sich dieses Netzwerk gebildet hat, war es ein weiter Weg. Es kann ein langer Prozess sein, die Menschen daran zu gewöhnen, dass da ein Designer aus der Großstadt steht und das Handwerk neu denken möchte. Ein Handwerk, auf das sie stolz sind. Dabei muss sehr viel Vertrauensarbeit geleistet werden. Darum ist das „slow“ auch wichtig im Projekt: So etwas geht nicht mit der Brechstange, sondern läuft eher langsam, dafür aber nachhaltig. Man muss jedoch unterscheiden – zwischen der industriellen Fertigung, wo fast alles maschinell erledigt wird und zwischen kleinen Betrieben wie Manufakturen, die sich in einer Nische behaupten und sich immer wieder mit ihrer Innovationsfähigkeit behaupten müssen.

In welchem Status des Projektes befinden Sie sich gerade?

Wir sind gerade in einem Stadium, wo wir sehr offen sind, uns ganz viel angeschaut, gesammelt und mit unseren Mitstudierenden geteilt haben. Jetzt gilt es, das auszuwerten, zu bewerten und abzuleiten.

Wie bewerten Sie generell die Rolle von Industriedesignerinnen und Industriedesignern für Unternehmen?

Als verantwortungsvolle Industriedesignerinnen und Industriedesigner müssen wir auf die eingangs beschriebenen Transformationen reagieren. Und wir können reagieren, in dem wir Produktion und Industrie neu denken. In der Schnittstellenposition können wir ein Teil der Entwicklung sein. Wir können eine Komplexitäts-Reduktion in Prozesse hineinbringen – im positiven Sinne, um klar herauszukristallisieren, worum es geht. Es geht auch ums Kuratieren, ums Bewerten und darum, Abläufe für die Praxis tauglich zu machen.

Welche persönliche Vision haben Sie als angehender Industriedesigner?

Ich beschäftige mich neben dem Studium mit zwei Freunden mit einem Design-Projekt, bei dem wir aus 3D-gedruckten und gehäkelten Sachen Handtaschen entwerfen. Das weiterzuentwickeln und vielleicht auch in Workshop-Formaten handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln, also weiter eine Do-it-yourself-Kultur in den Fokus zu rücken, das ist eine schöne Vision.