Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle: Balance zwischen Handwerk und Experiment

09.12.2022

Seit Oktober 2022 ist Prof. Bettina Erzgräber neue Rektorin an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle in Halle (Saale). Im Interview erklärt sie, was sie an der neuen Position reizt, was die BURG so besonders macht und wie sie das Bild der Stadt und das künstlerische Leben in Sachsen-Anhalt prägt.

Seit über 100 Jahren gibt es die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle – zunächst als Handwerkerschule und seit 1958 als staatliche Hochschule. Theorie und Praxis werden zusammengedacht und zusammen verstanden. Neben Seminarräumen und Vorlesungssälen stehen den Studierenden Ateliers, Werkstätten und Labore zur Verfügung. Ausstellungen, Festivals und Vorträge sorgen für Abwechslung.

Wir haben mit Prof. Bettina Erzgräber gesprochen, die seit Oktober 2022 neue Rektorin der Burg Giebichenstein ist und seit acht Jahren an der Hochschule lehrt.

Sie sind seit Oktober 2022 Rektorin der BURG. Was hat Sie an der neuen Position gereizt?

Seit ich hier bin, weiß ich, dass ich an einer außergewöhnlichen Kunsthochschule bin, die ich gerne nach außen repräsentiere. Die Studierenden sind vom ersten Tag an sehr motiviert und eigenständig. Mir gefallen außerdem das kollegiale Miteinander und das angenehme Arbeitsklima. Zur Kandidatur hat mich schließlich der Zuspruch von den Lehrenden und Studierenden beider Fachbereiche bewogen. Das war mir besonders wichtig.

Bleibt Ihnen denn noch Zeit für die Lehre?

Tatsächlich bin ich nun offiziell freigestellt, aber komplett auf die Lehre verzichten kann ich nicht. Ich gebe noch einen Workshop in diesem Semester. Das war ein Versprechen an die Studierenden, und das möchte ich auch halten.

Blicken wir ein wenig zurück: Wie wurde aus der BURG die Institution, die sie jetzt seit Jahren ist?

Zunächst einmal das Offensichtliche: Mit über 1.000 Studierenden ist die BURG eine der größten Kunsthochschulen in Deutschland. Zudem gibt es sie bereits seit über 100 Jahren. Sie wurde 1915 gegründet, vier Jahre vor dem Bauhaus. Wodurch wir uns aber abseits der Zahlen abheben, ist unser Profil mit den beiden Fachbereichen Kunst und Design, wo zukünftige Studierende aus über 20 Studiengängen wählen können. Außerdem gibt es innerhalb der Fachbereiche ein Jahr lang eine Grundlagenausbildung, in dem Studierende zu Beginn ihres Studiums spartenübergreifend zusammenarbeiten und sich ausprobieren können. Das ist nach wie vor eine sehr neue Art des Studierens. Aus dieser Zeit der Orientierung gehen sowohl Freundschaften als auch künstlerische Kooperationen hervor.

Was war das Besondere früher und was ist es heute?

Was uns als Institution auszeichnet, ist das Bewusstsein für Tradition und zugleich der Wille und die Fähigkeit, sich zu entwickeln und in die Zukunft zu schauen. Ein Blick auf die Lehrstühle zeigt es: Wir haben eine Professur für Malerei, wir haben aber auch eine Professur für Design und Medientechnologie. Auch die Breite und Ausstattung unserer Werkstätten ist einzigartig und divers. So haben wir neben Lithografiesteinen[1] auch eine Offset-Druckerei. Wir haben eine Weberei, die noch traditionell genutzt wird und gleichzeitig Biolabs, wo sich die Studierenden mit lebendigen Mikroorganismen auseinandersetzen. Hieran sieht man sehr gut, wie Neues und Altes nebeneinandersteht und was die Besonderheit der BURG ausmacht.  

Podcasts, Modeschauen, Designpreise: Die Hochschule bietet ein weitläufiges Angebot über die Studiengänge hinaus. Wie wollen Sie diese Thematiken in Zukunft vereinen?

Ehrlich gesagt, ist das gar nicht so sehr mein Ziel, Themen zu vereinen, denn die Vielfalt macht schließlich eine Kunsthochschule, und besonders die BURG, aus. Außerdem gehört Vielfalt in unserer heutigen Gesellschaft einfach dazu. Doch wie setzt man sich mit ihr auseinander? Die Antwort kann nicht sein, sie einzuschränken, sondern ihr mit Offenheit zu begegnen. Unseren Studierenden möchten wir eine Herangehensweise vermitteln, die dieser Vielfalt Rechnung trägt. Mein persönliches Ziel ist es daher auch, sowohl den Studierenden als auch unseren Lehrenden einen Raum zu bieten. Sie sollen die Möglichkeit und Freiheit haben, ihren Forschungssträngen und spezifischen Interessen nachzugehen.

Was verbinden Sie konkret mit dieser Herangehensweise?

Sie drückt sich in der Mischung aus Handwerk und Experiment aus, die in der BURG praktiziert wird. Unsere Werkstätten, die es schon immer gab, werden kontinuierlich ausgebaut. Ziel ist es, dass die Studierenden nicht im Handwerk verhaftet bleiben. Ihnen wird ermöglicht, die Grenzen des jeweiligen Materials auszutesten und gleichzeitig die eigenen handwerklichen Fähigkeiten zu vertiefen. Das Schöne ist: Aus der Arbeit muss nicht immer gleich ein verwertbares Ergebnis entstehen.

Welchen Einfluss hat die Hochschule auf das Land Sachsen-Anhalt und die Kreativwirtschaft?

Viele ehemalige Studierende sind in Halle und Sachsen-Anhalt noch mit Ateliers und Gewerken angesiedelt. Ich höre immer wieder: Läuft man durch Halle, erkennt man gleich, dass es hier eine Kunsthochschule gibt. Was sehr schön ist, wie ich meine. Halle ist eine kleine Stadt und die Studierenden laufen sich auch abseits des Campus zufällig über den Weg. Außerdem finden Kreative in Halle wie in Sachsen-Anhalt gute Arbeitsbedingungen und bezahlbare Mieten vor. Trotzdem gibt es Potenzial, um noch mehr Studierende zum Bleiben zu bewegen.

Von was können die Studierenden und Absolvent*innen profitieren?

An der BURG haben wir beispielsweise das Designhaus, wo Studierende nach dem Studium einen Raum günstig mieten und die Infrastruktur mitnutzen können. Darüber hinaus haben wir den Burgshop, wo man Produkte direkt einkaufen kann, und in unserer Burg Galerie können Studierende und Absolvent*innen ihre Werke ausstellen. In Sachsen-Anhalt gibt es die Kunststiftung oder auch den Landeswettbewerbe für die Kultur- und Kreativwirtschaft– davon könnte es natürlich noch viel mehr geben. Dann ist es entscheidend, dass es günstige Arbeitsräume gibt und den Kreativen ein Schaufenster geboten wird, in dem sie ihre Kunst- und Designobjekte zeigen können. Ich denke hier gibt es immer Verbesserungsansätze. 

Auf welche Events freuen Sie sich besonders im kommenden Semester?

Um ehrlich zu sein: Ich freue mich, dass wir wieder alle da sind. Wir haben erstmals wieder komplett auf vollständige Präsenz umgestellt. Und das ist wirklich ein Geschenk! Das Virtuelle bietet zwar Möglichkeiten, aber die Zusammenarbeit vor Ort hat schon sehr gefehlt. Außerdem ist es großartig, dass wir wieder viele Gäste haben und die Ausstellungen der Studierende zeigen können. Wir können wieder Symposien veranstalten und die Schüler*innen, die sich für ein Studium an der BURG interessieren, können den Campus wieder live erleben. Und die Jahresausstellung ist natürlich immer ein Highlight.

Warum sollten Kunstbegeisterte an die BURG kommen?                     

Weil sie heute schon die Kunst von morgen sehen können, und zwar im Anfangs- und im Entwicklungsstadium. Im Laufe der Jahresausstellungen kann man bereits die Talente verfolgen und ihre Entwicklung nachvollziehen. Dies gilt natürlich nicht nur für Kunst-, sondern auch Designbegeisterte.


[1] Die Lithografie ist eine Flachdrucktechnik, bei der häufig Kalksteinplatten als Druckmedium eingesetzt werden.

 

Foto: Runa Vieira Sandig