Virtuelle Reisen im Pflegeheim

Magdeburger Unternehmen arbeitet mit Senioren

Als Roxana Hennig zusehen musste, wie ihre Großmutter mit zunehmenden Alter immer stärker in ihrer Mobilität eingeschränkt war und irgendwann das Haus nicht mehr verlassen konnte, überlegte die heute 33-Jährige, wie man die aus dem Gaming-Bereich bekannte Virtual-Reality-Technik im Pflegealltag einsetzen könnte. Die studierte Betriebswirtin und Absolventin der London Film Academy gründete Ende 2018 in Magdeburg „Remmy VR“, um – zusammen mit Experten aus der Medienbranche und dem Pflegebereich – Senioren vom Sofa aus auf virtuelle Reisen zu schicken. Wir sprachen mit der gebürtigen Dessauerin Roxana Hennig über „Remmy VR“ und welche Chancen Virtual Reality in der Pflege bieten kann.

Was genau ist „Remmy VR“?

Wir haben uns im Rahmen eines Cross-Innovation-Projekts zusammengeschlossen, um Produkte zu entwickeln, die Neue Medien und den Pflegealltag zusammenbringen. Und das erste Produkt davon ist „Remmy VR“. Unser Ziel war, dass man die Virtual-Reality-Technik, die man ja meist nur aus dem Games-Bereich kennt, weiterdenkt und schaut, ob man diese Technik auch für den Pflegebereich einsetzen kann. Also mit passenden Inhalten und einer entsprechenden Gestaltung, die so einfach und zugänglich ist, dass sie wirklich in den Pflegealltag integriert werden kann und von den Senioren angenommen wird.

Wofür steht der Name „Remmy VR“?

„Remmy“ steht eigentlich für „Remember the World“ – das ist auch unser Slogan. Mit „Remmy VR“ soll man sich erinnern oder nochmal gedanklich verreisen, weil wir ja sowohl regionale, als auch weltweite Inhalte haben. Und vom englischen Wort „remember“ kommt dann als Markenname die Abkürzung „Remmy“ für die VR-Anwendung

Welche Experten stehen hinter „Remmy VR“?

Wir sind Medienleute und Experten aus dem Pflegebereich. Initiiert habe ich das Projekt mit meiner Agentur Maywood Media und ich habe mich mit verschiedenen anderen Kreativen zusammengeschlossen – es ist noch eine Agentur mit im Boot, eine Fotografin, Kameraleute und ein Büro, das die VR-Visualisierungen macht. Wir haben uns auch Partner aus dem Pflegebereich gesucht. Mit dabei sind zwei Magdeburger Einrichtungen und ein Therapiezentrum für Senioren. Zusammen haben wir „Remmy VR“ entwickelt, jeder hat etwas eingebracht. Die Partner aus dem Pflegebereich sind natürlich wichtig, um auch zu hören, was die Pflege im täglichen Leben bedeutet, wie viel Zeit und welche Ressourcen vorhanden sind, um sich mit solchen neuartigen Sachen zu beschäftigen und welche Inhalte für die Zielgruppe relevant sind.

Und welche Inhalte stellt Ihr für die Senioren bereit?

Zunächst einmal: Wir gestalten unseren eigenen Content. Da haben wir uns auch die Frage gestellt, wie der Inhalt überhaupt aussehen muss, damit er die Zielgruppe anspricht. Sprich: welche Themen kann er abdecken? Aktuell haben wir 20 virtuelle Ausflüge im Programm, unter anderem in den Bergzoo in Halle, in die Sächsische Schweiz, auf die Insel Rügen oder auch nach London, Berlin und Dresden. Wir waren das ganze Jahr unterwegs oder haben mit Kameraleuten in vielen Ländern kooperiert, wie in den USA oder Japan. Wir entwickeln und drehen auch immer noch weiter. Die andere Seite ist unsere VR-App. Die ist wie ein virtuelles Wohnzimmer, in dem man sich mit der Brille befindet und ganz in Ruhe, ganz intuitiv durch das Programm schauen und sich etwas aussuchen kann. Es wird dafür kein WLAN benötigt und es gibt keine langen Ladezeiten für die Filme. Dazu gibt es noch ein Programmheft aus Papier, damit die Senioren sich zunächst herantasten können, um gemeinsam mit den Betreuern, die Inhalte auszuwählen.

 

Wie bist Du auf die Idee gekommen Virtual Reality für Senioren zu entwickeln?

Ein Stück weit hat das einen persönlichen Hintergrund. Meine Oma konnte erst immer weniger und dann irgendwann gar nicht mehr das Haus verlassen. Durch meinen Job kannte ich VR bereits. Ich habe überlegt, ob es neben dem Gaming nicht auch eine gute Lösung sein könnte, das in diesem Bereich einzusetzen, dass man vom Sofa aus verreisen kann, eben nur virtuell.

Wie kann VR den Senioren helfen?

„Remmy VR“ ist kein Medizinprodukt – das hätte den Cross-Innovation-Rahmen gesprengt. Es geht aber schon in die Richtung, dass es gerade auch bei neurodegenerativen Erkrankungen – also alles, was in Richtung Demenz geht – helfen kann. Aktuelle Studien belegen dies. Zum einen können diese großen, damit verbundenen Stimmungsschwankungen abgemildert werden. Wenn Menschen in so einer depressiven Phase sind, ist es eine gute Möglichkeit, sie damit wieder auf andere Gedanken zu bringen oder sie dabei zu unterstützen, sich zu beruhigen und abzulenken. Gleichzeitig kann es helfen, Menschen wieder körperlich ein wenig zu aktivieren. Durch die Brille beginnt man in alle Richtungen zu schauen, bewegt die Arme und greift nach Dingen. Die Filme dauern jeweils zehn bis 20 Minuten und wirken nach dem Anschauen lange nach. Wir haben bei unseren Tests erlebt, dass die Senioren sehr ergriffen sind, sich erinnern, erzählen und sagen: „Daran werde ich jetzt noch lange denken.“ Uns ist es auch wichtig, dass die Menschen nicht nur einfach in einer Ecke sitzen und durch die Brille schauen, sondern dass vorher in einem Gespräch erarbeitet wird, was für den jeweiligen Nutzer individuell relevant sein könnte. Wenn jemand früher viel an der Ostsee gezeltet hat, könnte das ein spannender Inhalt für ihn sein. Meist kommen in diesen Gesprächen bereits die ersten Erinnerungen. Nach dem VR-Erlebnis sollte das möglichst vertieft werden. Es sind Antworten auf solche Fragen wichtig: Was hat man denn gesehen? Woran musste man denken? Welche Erinnerungen kommen? Dabei wirken die positiven Emotionen nach. Das ist wirklich schön.

Wie haben die Senioren bisher auf das VR-Erlebnis reagiert?

Durchweg sehr positiv, wie ich es mir erhofft hatte. Zum Glück waren bisher auch alle bereit, die Brille aufzusetzen. Wir haben wirklich sehr schöne, emotionale Momente erlebt. Es gab sogar Freudentränen.

Hat Euch die Corona-Krise in Eurer Arbeit beeinflusst?

Wir wurden ein bisschen ausgebremst, da wir auch darauf angewiesen sind, hin und wieder direkt in die Einrichtungen zu gehen, um etwas zu zeigen oder zu testen. Das war in den vergangenen Wochen leider nicht möglich. Dennoch konnten wir mit der Auslieferung des „Remmy VR“-Paketes an die ersten Kunden beginnen.

Welche Vorteile hat der Standort Sachsen-Anhalt für Euch?

Wir haben das Land sehr offen für neue Ideen erlebt und schnell auch gute Partner gefunden. Die Wege sind kurz, sodass die Kooperation, zum Beispiel mit der Investitionsbank, gut funktioniert und wir uns voll und ganz auf die Umsetzung unseres Projektes konzentrieren können. Ich freue mich, dadurch die digitale Landschaft von Sachsen-Anhalt mitgestalten zu können. Klar ist Sachsen-Anhalt nicht so ein Hotspot wie beispielsweise Berlin. Ich sehe das aber eher als eine Chance, von hier aus Signale zu senden, dass es auch bei uns diese innovativen Ideen gibt.

Wie geht es bei Euch jetzt weiter?

Das erste Jahr des Cross-Innovation-Projekts haben wir genutzt, um das Produkt fertigzustellen. Jetzt, im zweiten Jahr, wollen wir es weiterentwickeln und verbessern. Da haben wir noch ein paar Ideen. Wir drehen weiter Filme, damit unser Content wächst. Außerdem überlegen wir gerade, wie man zusätzlich individuellen Content integrieren könnte. Dieser Aspekt wird immer wieder angefragt und wir prüfen, inwiefern es technisch möglich ist, auf Wunsch auch persönliche Videos, zum Beispiel vom eigenen Wohnviertel oder Garten zu integrieren. Gleichzeitig bauen wir den Vertrieb von „Remmy VR“ aus, um das Projekt in ein tragfähiges Geschäftsmodell zu überführen, welches auch nach Projektende fortbestehen kann.


Weitere Informationen zu „Remmy VR“ gibt es online unter: www.remmy-vr.com